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Zuhören und offen ansprechen

Diakoniewerk
10.09.2024

Am 10. September ist der Welttag der Suizidprävention. Was sind Warnsignale? Wie kann man einem lieben Menschen, um den man sich sorgt, helfen? Dr. Albert Summ, der Chefarzt unserer Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, gibt im Interview Auskunft.

Der 10. September ist der Welttag der Suizidprävention. Warum ist dieser Tag wichtig?

SUMM: Der Tag kann ein Bewusstsein fördern für einen oft nicht mehr aushaltbar scheinenden Zustand, der mit Selbstmord endet. Durch meine Tätigkeit in der Akutpsychiatrie und im Notarztdienst weiß ich wie schlimm Suizidalität für Betroffene und Angehörige ist und wie kaum nachvollziehbar erst das Leid bei einem vollzogenen Suizid.

Durch einen Suizid beendeten 2023 laut statistischem Bundesamt 10.300 Menschen ihr Leben. Das waren 1,8 Prozent mehr als im Vorjahr, aber 3,1 Prozent weniger als im Durchschnitt der letzten zehn Jahre. Die Verteilung zwischen Männern (73 Prozent) und Frauen (27 Prozent) ist dabei relativ konstant geblieben. An den Todesursachen insgesamt machten Suizide – ähnlich wie in den Vorjahren – einen Anteil von einem Prozent aus. Allerdings gibt es allein in Deutschland zirka 100.000 Suizidversuche im Jahr. Jeder Suizid betrifft bis zu 100 andere Menschen –direkt oder indirekt. Das Suizidrisiko steigt mit zunehmenden Lebensalter an, jedoch gehört der Suizid in der Altersgruppe der 15-25 Jährigen weltweit zur zweithäufigsten Todesursache.

„Suizidalität ist immer ein Hinweis auf eine sehr große seelische innere Not"

In Deutschland sterben mehr Menschen durch Selbstmord als durch Unfälle, Gewalttaten oder Drogen. Wie kann man Menschen für diese Problematik sensibilisieren?

SUMM: Suizidalität ist immer ein Hinweis auf eine sehr große seelische innere Not. Wissenschaftler gehen davon aus, dass sehr viele Menschen, die durch einen Suizid sterben, zu diesem Zeitpunkt an einer psychischen Erkrankung litten. Aber das ist nicht der einzige Grund. Auch viele andere Faktoren wie z.B. Lebenskrisen, körperliche Erkrankungen oder belastende Lebensereignisse spielen hierbei eine Rolle.

Welche Warnsignale sind bei Suizidgefährdung zu erkennen?

SUMM: Zu den Warnsignalen gehören etwa Veränderungen des Äußeren (z.B. dunkle Kleidung), Sozialer Rückzug, Änderungen von wichtigen Gewohnheiten, Vernachlässigung von Ernährung und Körperpflege, Direktes oder indirektes Ansprechen von Suizidgedanken oder wenn sich jemand für immer Verabschiedungen oder sein Testament macht. Oft ist auch ein risikoreiches Verhalten zu beobachten.

Wann tauchen Suizidgedanken auf?

SUMM: Zu den Risikofaktoren zählen stark belastende Lebensereignisse (z.B. Trennungen, Umzüge, Jobverlust, aber auch Flucht), psychische Erkrankungen (z.B. Depressionen, Suchterkrankungen, Schizophrenien u.a.), körperliche Erkrankungen (besonders mit chronische Schmerzen) sowie wenige oder keine sozialen Kontakte bzw. Bindungen. Statistisch wirksam sind frühere Suizidversuche, Suizide in der Familiengeschichte, ein höheres Lebensalter und männliches Geschlecht.

„Suizidprävention ist eine vielschichtige Aufgabe"

Wie kann man Suizid vorbeugen?

SUMM: Suizidalität ist ein komplexes Phänomen und Suizidprävention deshalb auch eine vielschichtige Aufgabe. Ein wirksames Mittel ist – soweit überhaupt möglich – die Einschränkung der Verfügbarkeit von Suizidmethoden (z.B. Waffen, Medikamente, Chemikalien, Absicherung von Bauwerken). Weitere Mittel sind u.a. die Verfügbarkeit niedrigschwelliger Behandlungsangebote, die Fortbildung in den medizinischen und psychosozialen Berufen sowie die Förderung der Früherkennung von Suizidgefährdung und von psychischen Erkrankungen. Sensibilisierung über Medien.

Wenn ich mir Sorgen um einen lieben Menschen mache, der sich zurückzieht: Wie kann ich helfen?

SUMM: Sprechen Sie den Menschen direkt an und signalisieren Sie: Ich mache mir Sorgen um dich, und ich bin jetzt für Dich da! Viele Menschen kennen Krisensituationen und wissen, dass eine Begleitung durch einen Freund und Vertrauten sehr helfen kann. Wichtig ist, dem Betroffenen klar zu machen, dass man seinen Wunsch respektiert, sich jedoch Sorgen macht und eine zusätzliche Unterstützung braucht. Sie dürfen aber auch Ihre eigene Unsicherheit zeigen und sagen, dass Sie weitere Hilfen hinzuziehen möchten. Dabei ist es wichtig, offen zu sein und nicht hinter dem Rücken etwas zu organisieren.

Es ist immer gut, sich Hilfe zu holen

Viele Menschen scheuen sich, in eine Klinik zu gehen ...

SUMM: Hier halten sich noch immer falsche Vorstellungen darüber, was in einer psychiatrischen oder psychosomatischen Klinik passiert. Betroffene brauchen keine Angst haben – schließlich es geht um ihr Leben. Bei körperlichen Erkrankungen würden wir auch nicht zögern, in ein Krankenhaus zu gehen. Wichtig: Sorgen Sie dafür, dass jemand bei der betroffenen Person ist – Sie selbst oder jemand anders. Das ist in der Klinik wichtig, aber auch außerhalb. Oft sind gerade die Nächte schwierig: wenn ein Freund mit übernachten kann oder der Betroffene zu einer vertrauten Person kann ist dies viel wert.

Hilfe in akuten Krisen:

Bezirkskliniken Mittelfranken
Klinikum Nürnberg Nord
Telefonseelsorge anonym, kostenlos und rund um die Uhr unter 0800 1110111 und 0800 1110222
Krisendienst Mittelfranken: 0800 655 3000 oder 0911 42 48 55 – 0 (täglich 24 Stunden), russisch: 0911 424855-20, türkisch: 0911 424855-60

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